Insel für einen virtuellen Luhmann-Lesekreis

Dienstag, 2. Februar 2010

Um "Tod durch Konsens" zu verhindern...

Ist das schon eine Definition von Soziologie? Handelt es sich dabei nicht eher um eine Beschreibung, wie binnendifferenziert das Feld soziologischer Theorie geworden ist? Luhmann schreibt ja kurz danach auch über das

"Verhältnis von Komplexität und Transparenz. Man könnte auch sagen: um ein Verhältnis von intrasparenter und transparenter Komplexität" (9).

Was für mich darauf hindeutet, dass er mehr darüber brütet, wie er mit der Vielfalt innerhalb der Soziologie umgeht, und noch nicht so sehr, was Soziologie eigentlich beobachtet.

Soziologie, das ist für Luhmann doch die "Theorie sozialer Systeme". Wobei er darunter 1967 einen 

"Sinnzusammenhang von sozialen Handlungen [...], die aufeinander verweisen und sich einer Umwelt nicht dazugehöriger Handlungen abgrenzen lassen" (LM 1991: 115)

verstand. Bewusst den etwas antiquierten "alten" Luhmann hervorgeholt, zeigt das Zitat, dass die Beobachtung von Sinn und dem was er als sozial definiert (zunächst "Handlungen, die aufeinander verweisen", später dann "Kommunikation") für seine Soziologiedefinition zentral sind. 

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Luhmann 1991: Soziologie als Theorie sozialer Systeme. In: Soziologische Aufklärung 1, S.113-136

11 Kommentare:

Sven hat gesagt…

Lieber Daniel,

ich denke auch, dass das so vielleicht zu mutig formuliert war. Aber das Soziologie die Theorie 'ist', glaube ich nicht. Denn dann wäre ja das einzige Angebot der Soziologie die Luhmannsche Variante der soziologischen Systemtheorie.

Wenn man es auf die Handlung herunterbricht, ist der der Soziologie betreibt, natürlich Soziologe. Natürlich!

Mein Verdacht ist vielmehr, dass Luhmann hier schon Soziologie ausschließlich als Gesellschaftstheorie anlegt. Also als eine Theorie aller Kommunikationen.

Daniel Kofahl hat gesagt…

Na Großartig. Nur drei Posts und ich weiß schon nicht mehr, was "Soziologie" ist ;)

Es müsste doch auf den Beobachter ankommen, was Soziologie ist. Und wenn man das Luhmann'sche Werk als Beobachter nimmt, dann war für ihn m.E. nach die "Soziologie" die Ausarbeitung theoretischer Reflexionen über soziale Systeme. Andere Beobachter sehen andere Dinge wie "Strukturen" oder "Produktionsverhältnisse", die Luhmann immer dem Primat des Systems untergeordnet hat.

Aber dann würde ich Dir zustimmen, zu sagen, dass alle soziologische Theorie ja "das Soziale" untersucht und dafür letztlich - auch wenn sie es selbst gar nicht feststellen - Kommunikationen analysieren. Aber die Wende zur Kommunikation als Primat der Soziologie, kommt erst bei Baecker.

Ich muss Dir doch noch weiter recht geben: nämlich darin, dass soziologische Theorie nicht die Soziologie ist. Es kommt vielmehr darauf an, mit dieser Theorie empirische Phänomene zu beobachten. Also ist Soziologie für Luhmann die Beobachtung von sozialen Beobachtern...

Sven hat gesagt…

hmm... ich würde vorschlagen, wir verschieben die Diskussion in die Lektüre von Gesellschaft der Gesellschaft, Kap.1 Gesellschaft als soziales System. ;-)

Daniel Kofahl hat gesagt…

Hier noch das Baecker-Zitat, in dem er das Ausbleiben einer Theorie der Kommunikation bisher feststellt und dann die Unterbreitung einer solchen für sich in Anspruch nimmt:

"Weder Michel Serres noch Jürgen Habermas noch Niklas Luhmann schrieben die Theorie der Kommunikation, die man erwarten könnte, wenn man sieht, welche Grundlagenstellung der Begriff der Kommunikation in ihren Theorien bekommt. Serres arbeitet stattdessen an einer Dekonstruktion des Boten, Habermas an einer Handlungstheorie, die sich die Verbesserung der Verhältnisse wünscht, und Luhmann hilet sich an eine Systemtheorie, die dafür warb, sich von einer komplexen Gesellschaft nicht den Spaß an ihrer Beschreibung verderben zu lassen.

Wenn mit allem Respekt vor der bisherigen Zurückhaltung der Sozialtheorie mit diesem Buch dennoch eine soziologische Theorie der Kommunikation vorgelegt wird ...."

Dirk Baecker, Form und Formen der Kommunikation, S.10

;)

Sven hat gesagt…

Ich denke, dass man bei Luhmann aus erkenntnistheoretischen Überlegungen heraus, eine Gesellschaftstheorie finden muss. Ich vermute hinter der baeckerschen Variante, den Versuch Schnittmengen zur Netzwerktheorie zu suchen.

Mir macht diese Lösung allerdings mittlere Bauchschmerzen. Denn die Frage nach den Bedingungen der Kommunikation wird vielleicht so nicht mehr mit der Frage nach den Bedingungen der Gesellschaft korrelieren müssen.

Daniel Kofahl hat gesagt…

"Denn die Frage nach den Bedingungen der Kommunikation wird vielleicht so nicht mehr mit der Frage nach den Bedingungen der Gesellschaft korrelieren müssen."

Sorry, versteh ich nicht :(

Gesellschaft = Kommunikation

Baecker spricht von einer "Soziologie" = Wissenschaft von Gesellschaft = Wissenschaft von Kommunikation

Sven hat gesagt…

hmm.. also wenn ich auf Selbstreferenz abstelle ist der Schluß "Gesellschaft=Kommunikation" nicht identisch mit "Gesellschaft ist nicht ohne Kommunikation zu denken, aber auch Kommunikation nicht ohne Gesellschaft" (S.13), weil in dieser Lesart erst durch die Bezugnahme auf das Ganze (Gesellschaft, System) eine selbstreferentielle Kommunikation überhaupt ermöglicht wird.

Sven hat gesagt…

ich habe außer wissenschaftspolitischen Gründen keinen Schimmer, was Baecker damit meinen könnte. Weder würden sich die Kommunikationswissenschaften als Soziologie beschreiben, noch würde die Soziologie in Toto sich Themen wie dem Denken des Denkens und der Einheit der Gesellschaft verschließen wollen.

Hast Du vielleicht eine Textstelle, wo man das mal abarbeiten könnte?

Daniel Kofahl hat gesagt…

"Bezugnahme auf das Ganze (Gesellschaft, System)"

findet wirklich ein Bezugnahme auf ein "Ganzes" statt?

Ich vermute es handelt sich um die Bezugnahme auf die Operationsform: "Die Leitfrage ist deshalb, welche Opertation dieses System produziert und reproduziert, wenn immer sie vorkommt." (S.13) Und wie gleich im Anschluss schreibt: "Die Antwort [...] ist Kommunikation." Und dann wird rauskommen, dass es keine Bezugnahme auf das Ganze, sondern auf die immer wieder (re)produzierte Differenz gibt.

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Warum Kommunikationstheorie? Ad hoc finde ich gerade keine Textstelle (kann auch mit der Uhrzeit zusammenhänge) - aber für mich ergibt sich, neben der Faszination für das Phänomen KOmmunikation, das daraus, dass "Kommunikation" eingentlich schon bei Luhmann d i e basale soziale Grundeinheit ist, viel basaler als S y s t e m e, und man dann Soziales auch jenseits von (Funktions)Systemen beobachten und beschreiben kann.

Aber ich merke, Du bist skeptisch ;)

Sven hat gesagt…

Guten Morgen!

ja... und vor allem Skeptizismus fürchte ich, dass der Systemtheorie in der Zeppelinier Fassung hier ein wichtiger Link zum Konstruktivismus und damit zur Kognitiven Wende der Wissenschaft verloren geht.
Nicht nur, dass der Begriff Autopoiesis in dieser Kommunikationstheoretischen Fassung fast leer ist, sondern auch, dass man sich sehr auf ein Kalkül verlässt, dass als Logik - soweit ich das absehen kann - nicht taugt.

Selbstreferenz hingegen hat dieses Potential.

Vielleicht einigen wir uns darauf, dass am Bodensee mittlerweile Deine Lesart sehr gut funktioniert und im Text aus Bielefeld dies noch nicht entschieden war?

Daniel Kofahl hat gesagt…

Ungern möchte ich mich einigen - zum einen liebe ich diese Art von wissenschaftlichem Fakultätsklatsch :), zum anderen habe ich wirklich keine Ahnung, und weiß daher gar nicht, ob es stimmt, worauf ich mich einigen würde...

...ja und dann versteh ich einiges wieder nicht...

"dass man sich sehr auf ein Kalkül verlässt, dass als Logik - soweit ich das absehen kann - nicht taugt." warum?

"Selbstreferenz hingegen hat dieses Potential"

Aber der Form-Kalkül ist doch pure Selbstreferenz (oh oh - mach ich jetzt das Fass auf "Was heißt >Selbstreferenz<?)

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