Insel für einen virtuellen Luhmann-Lesekreis

Donnerstag, 4. Februar 2010

Alois Hahn - Inklusion und Exklusion. Ein Wandel in den Begriffen Niklas Luhmanns

Da ich von Daniel gerade sanft über facebook angestupst wurde, hier mal gefälligst meinen Beitrag in Form eines Satzgebäudes zu leisten (wenngleich von Daniel ungleich eleganter formuliert), ich aber in "Gesellschaft der Gesellschaft" noch keinen Blick werfen konnte: Hier einmal stattdessen der - wie ich finde durchaus ins Blogkonzept passende - Vortrag von Alois Hahn (dem wohl hoffentlich allseits bekannten und - mittlerweile - emeritierten ehemaligen Trierer Professor und - immer schon - offenen Bewunderer Niklas Luhmanns) im Rahmen der Vortragsreihe "Fremdheit und Armut" (beziehungsweise meine lückenhaften Aufzeichnungen ebendieses Vortrags), dem beizuwohnen ich vor einigen Wochen die Gelegenheit und die Ehre hatte. Ich hoffe, dieser erste labyrinthische Satz ist als Gebäude bzw. Haus weitläufig genug ;). Ich schreibe das entsprechend meiner Aufzeichnungen einfach mal so auf, wie ich es verstanden habe, da ich in diesem Thema nicht wirklich drin bin und dieser Eintrag außerdem nur die Selektion einer Selektion einer Selektion ... bleiben muss. Wer von dem Thema mehr Ahnung hat oder sogar bei dem Vortrag anwesend war, darf mich gerne verbessern.

Wie dem Titel zu entnehmen, ging es um den Wandel der Luhmanschen Begriffe von Inklusion und Exklusion, bzw. von Zentrum und Peripherie, wobei eine der Leitfragen war, ob es in einer kommunikationsbasierten Gesellschaft(-stheorie) überhaupt Möglichkeiten der Exklusion gibt.

Die einleitenden Bemerkungen zu den Begrifflichkeiten spule ich gerade mal vor. Wichtig war auf jeden Fall, dass mit der Umwandlung von segmentierter Gesellschaft in Hochkultur die Unterscheidung Zentrum/Peripherie an Bedeutung gewann. Gleich, ob es dabei um Teilnahme/Verbannung, Stadt/Provinz oder das Problem der Kontrolle der Peripherie durch das patrimoniale Zentrum ging. [Weber, Tenbruck, Wallenstein und Bourdieu fallen jetzt ebenso dem schnellen Vorlauf zum Opfer] In systemtheoretischer Perspektive auf moderne Gesellschaften taucht die Frage auf, wo Zentrum und Peripherie hier zu suchen sind und was "Exklusion" in diesem Zusammenhang bedeuten könnte. Im Gegensatz zu einem "frühen" Luhmann, bei dem Zentrum und Peripherie ebenfalls als räumliche Unterscheidungen aufgefasst worden sind (jedenfalls so, wie ich das verstanden habe), waren es für den "späteren" Organisationen bzw. "Anstalten", die das Zentrum bilden. Beispiel: Die Kirche als Zentrum der Religion. Oder: die Gerichtshöfe als Zentren des Rechts (wohl der einzige Fall, für den Luhmann selber seine Überlegungen zu Zentrum und Peripherie auch tatsächlich ausformulierte, andere Werke verbleiben in der geographischen Bedeutung). Oder: Krankenhäuser als Zentren des medizinischen Subsystems. Es gilt natürlich, dass in den Organisationen/Zentren nicht sämtliche Kommunikationen an der Leitdifferenz des Subsystems ausgerichtet sein müssen - und ebenso wenig, dass sämtliche an der Leitdifferenz ausgerichtete Kommunikation auch im Zentrum stattfindet. Zentren monopolisieren die entsprechende Kommunikation nicht; jedes Händewaschen reproduziert ja schließlich das medizinische System. Aber: Nur Zentren bestimmen die Selbstreproduktion bzw. die Selbstthematisation des Subsystems. Operationen in der Leitdifferenz befinden sich in Zentrum und Peripherie. Aber: Nur Zentren nehmen diese Operationen die Form von Berufen und Karrieren etc. an. Professionalität ist in der Peripherie möglich, im Zentrum aber notwendig. Nur im Zentrum wird bestimmt, wie die Leitdifferenzen einzelnen Ereignisse der "Welt" zugeordnet werden kann. Eine interessante Paradoxie fand Hahn (oder war es schon Luhmann?) in der Anwendung der Frage auf die Politik. Zwar gilt hier der Staat(sapparat) als Zentrum, als wichtiger wird allerdings das kommuniziert, was in der Peripherie passiert - schließlich ist der Staat ja nur "Diener". Bevor ich nochmal zu eingangs erwähnter Frage komme, hier noch ein amüsantes Zitat von Alois Hahn, mit dem er die Systemtheorie gegen Anwesende verteidigte, die ihre Nichtübertragbarkeit auf das Mittelalter bemängelten: "Mit einer Schere kann man keine Orgel spielen, aber das ist kein Einwand gegen eine Schere. Mit einer Orgel kann man nicht schneien, aber das ist kein Einwand gegen eine Orgel."

Es bleibt die Frage, ob in einer in Subsysteme und auf Kommunikation aufgebauter Gesellschaft Exklusion möglich ist, und wie genau man sie sich vorzustellen hat. Immerhin kann ich die Kirche verlassen oder aus ihr exkommuniziert (!) werden, ich kann aber trotzdem weiterhin meine Kommunikation an - was war's - Immanenz und Transzendenz ausrichten, beispielsweise beten. Man kann mich aus Krankenhäusern verbannen, aber mir nicht verbieten, mir eben die Hände zu waschen oder nichts zu essen, was ich auf dem Bürgersteig finde. Selbst im drastischen Falle der Tötung - wohl einer sehr scharfen Form von - Exklusion kann ich zwar nicht mehr kommunizieren, aber es wird schwer, anderen zu verbieten, ihre Kommunikation an mir auszurichten. Exklusion in der Systemtheorie, Exklusion von Kommunikation - Meinungen dazu oder Vorschläge?

 

22 Kommentare:

Sven hat gesagt…

Moinsen Gerrit!

.... ein weites Feld.... Also so wie ich das verstehe, ist die Differenzierungstheorie Luhmanns ganz hervorragend für Historiker eignet. Gerade Kommunikationsstrukturen beispielsweise des Organisierten Verbrechens in Japan lassen sich mit dem Hinweis auf die Gesellschaften der Gesellschaft wunderbar analysieren. Z.B. ist der Begriff der 'Ehre' etwas, was ganz besonders unwichtig für die funktional differenzierte Gesellschaft geworden ist. Es sei denn, man beobachtet, wie ein stark tätowierter Mann ganz selbstverständlich ohne zu zahlen aus der Kneipe geht, und wundert sich. Das hier eine andere Form von "Gesellschaft" eine Rolle spielt, ist wunderbar stratifikatorischen Mustern zuzurechnen. Gerade der Blick auf die Gesamtgesellschaft und ihre Bruchstellen zur Weltgesellschaft zeigt, dass man mit Z/P Argumenten, wie, 'wenn du meine Schwester anmachst, wirst du weit und breit niemanden finden, der dir hilft' doch erstaunlich weit kommt.

Das mit dem Inklusions und Exklusions Zeug... ja... also Luhmann hat das in Brasilien entdeckt. Dort wo man erstmal nur 'Körper' ist.... in den Armenvierteln. Und was ich hierbei als ganz großes Kino empfinde ist, dass Luhmann seine ganze Theorie hier neu aufziehen wollte. Nur weil er gesehen hatte, wie Menschen nicht mehr als Personen den Subsystemen zugänglich waren. Das was bisher eine große Entlastung für Luhmann war, wurde dort zum Problem.
... soweit ich weiß ist das Unternehmen noch offen.

Das mit dem Raum kann ich mir nicht vorstellen. Auch weil die Negationen von Sinn eben nur eine Sach-, Zeit- und Sozial- Dimension aufwirft. Der Abstand müsste sich hier als viertes ergeben... oder eben doch nur als Merkmal der Differenzierungsform von Gesellschaft

Die Unterscheidung Z/P ist etwas was in das stratifikatorische Weltbild gut hineinpasst. Auf der einen Seite befinden sich Personen, die "haben" das Wissen, die Schönheit und die Macht und auf der anderen Seite lebt der Pöbel, der irgendwann doch schnallt, dass ohne ihn nichts geht.

Das das im Zentrum passiert, halte ich für unmöglich. Kommunikation hat kein Zentrum. Die Gesellschaft änderte sich. Und das in toto - also im Bewusstsein ihrer Selbst.

Ich vermute wie Du, dass dahinter ein hegelsches Argument steckt. Luhmann selbst hat dies, soweit ich weiß, nie zugegeben. Man müsste das mal recherchieren....

Daniel Kofahl hat gesagt…

...wenn man Gerrit mal anstupst...

...

vieles hat Sven schon gesagt

...

Ich bin da vielleicht mehr rhizomatisch angehaucht und assoziere den Zentrumsbegriff mit "stark ausgeprägten Knotenpunkten" der Kommunikation, während in der Perepherie zu systemspezifischen Themen kaum (elabortierte) Beiträge auftauchen: Die EZB nimmt ebend doch mehr Zahlungen oder Nicht-Zahlungen vor als bspw. ich....

Daniel Kofahl hat gesagt…

"....dass Luhmann seine ganze Theorie hier neu aufziehen wollte. Nur weil er gesehen hatte, wie Menschen nicht mehr als Personen den Subsystemen zugänglich waren. Das was bisher eine große Entlastung für Luhmann war, wurde dort zum Problem...."

Superinfo!

Sven hat gesagt…

wenn man mal in diese Variante hineinschauen möchte, ist der Inklusion und Exklusion Aufsatz in Soziologische Aufklärung etwas, was einem als Theorie-Nerd böse in die Niere trifft.

-> Niklas Luhmann, Inklusion und Exklusion, in Soziologische Aufklärung 6, Feb. 2005

@Daniel: in Zeppeliner Fassung ist dieser Aufsatz natürlich zentral. ;-)

Daniel Kofahl hat gesagt…

@Sven: Meine Beobachtungen Deiner Beobachtungen meiner Beobachtungen lösen bei mir gerade eine heftige Reflexion darüber aus, ob man schon solch eine theoriespezifische Differenz zwischen Bielefeld und Zeppelin ausmachen kann? Und mit welcher Brille schaust Du, als Göbel- und Lehmann-Schüler?

@Inklusion/Exklusion:

"Die Gesellschaft" liegt zu Hause (ich weiß, da liegt sie gut...*seufz*), aber in Soziale Systeme unterscheidet Luhmann auch schon Inklusion und Exklusion in soziale Systeme und zwar bei der Differenz von soz. und personaler Systemen:

"Interpenetration führt zu Inklusion insofern, als Komplexität der beitragenden Systeme von den aufnehmenden Systemen mitbenutzt wird. Sie führt aber auch zur Exklusion insofern, als eine Mehrzahl von interpenetrierenden System, um dies zu ermöglichen, sich in ihrer Autopoiesis voneinander unterscheiden müssen."

Oder wie er selbst dann schreibt:

"Weniger abstrakt formuliert: Die Teilnahme am sozialen System fordert dem Menschen Eigenbeiträge ab und führt dazu, daß die Menschen sich voneinander unterscheiden, sich gegeneinander exklusiv verhalten; denn sie müssen ihren Beitrag selbst erbringen, müssen sich selbst motivieren." (299)

Hieße für mich also, Inklusion/Exklusion war schon in der Theorie schon immer möglich, aber die Art und Weise wie und wo sie stattfindet, muss diskutiert werden...

Sven hat gesagt…

@Gerrit: also ja... ähm... ich lese ganz deutlich eine Differenz dort hinein. Aber das hier genauer zu beschreiben, würde diesen Rahmen und ganz sicher auch meine Kenntnis über den Bielefelder Stand überfordern. (wäre aber ein cooles Buch-Projekt!!!)

@Möglichkeiten der Theorie
ja. bin völlig Deiner Meinung. Es geht sicher... aber der Begriff war nicht so körperlastig gearbeitet. Er meinte 'Personen'.
Ob Menschen dazu 'beitragen' steht außer Frage, denn ohne Menschen passiert da nix.... aber 'beitragen' im Sinne von Kausalität und einem Bielefelder Begriff von Steuerung?

Und hier ist diese Variante für mich einfach zu abgehoben. Ich denke nicht dass 'Körper' als Begriff der soziologischen Theorie selbstreferentieller Systeme taugt. 'Das Bewusstsein interpretiert Körpervorgänge als Welt'. Erkenntnis über einen Körper zu formulieren, bliebe für mich immer einer strukturellen Kopplung zugeschrieben. Ich verstehe die Trennung zwischen biologischen und sozialen Systemen dort als Erkenntnishindernis. und kann so mit 'Körper' nur wenig anfangen.

Hast Du vielleicht eine Definition die da helfen könnte? und so interpenetration von Körpern in die Gesellschaft erlaubt?

Sven hat gesagt…

sorry: ich meinte natürlich nicht @Gerrit, sondern @all.

Gerrit hat gesagt…

Zunächst mal Sorry für mein eher sporadisches Auftauchen...

@Zentrum/Peripherie: "Kommunikation hat kein Zentrum." Das sehe ich ganz genauso. Ich glaube aber nicht, dass das der Idee widerspricht, seine Kommunikationen an denen innerhalb einer bestimmten Organisation zu orientieren. Um bei den Beispielen zu bleiben: Was den Code "Der Gesundheit dienlich/Der Gesundheit nicht dienlich" angeht, den Hahn als Differenz des medizinischen Subsystems favorisiert, so orientiert man sich bei der Zuschreibung doch nur zu 20 Prozent an den Ratschlägen, zu 80 Prozent aber doch an den "professionellen" Kommunikation im Zentrum, also im Umfeld von Krankenhäusern oder Universitäten. Einem Arzt beispielsweise dann die Behandlungserlaubnis zu entziehen, ihn gewissermaßen aus dem Zentrum zu verbannen, hat einen deutlichen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, seine eigenen Unterscheidungen entlang der Operationen dieses Arztes auszurichten. Und was das Rechtssystem betrifft, findet auch die Differenzierung in legal/nicht legal sicherlich überall statt, aber wohl immer in Orientierung an dem, wie das Zentrum, also beispielsweise die Gerichtshöfe, die Welt einteilen können/müsste/sollte/dürfte. Kommunikation ist nicht zentralisiert, schielt aber doch immer in Richtung der Organisationen. Oder bin ich da auf dem Holzweg? Damit meine ich aber natürlich nicht, dass die Organisationen direkten Zwang ausüben, und auch nicht, dass sie der Weltgeist durchweht.

@Böser Treffer in Theorie-Nerd-Niere: Soweit ich mich erinnere, hat auch Alois Hahn angedeutet, dass sich in diesen Überlegungen zu Inklusion/Exklusion mehr Sprengstoff verbirgt, als Luhmann selber merkte/noch ausformulieren konnte. Wie es da wohl im Zettelkasten aussieht?

@Körper: Das finde ich in der Tat spannend, ob der Körper in des Systemtheorie doch nur als Umwelt taugt oder als Taktgeber und Verortungspunkt von Imperativen bestimmter Subsysteme wie der Medizin. Oder ob sich die Rolle des Körper beispielsweise mit unterschiedlichen Graden von "Inklusion/Exklusion" (sofern es diese Grade in des Systemtheorie eben noch geben kann) ändert. Aber generell findet die Interpenetration von Körper und Gesellschaft natürlich statt, und nicht zu knapp. Dazu reicht es schon, sich nach den Gründen/Konsequenzen zu fragen, die von Sven ins Spiel gebrachte Schwester anzumachen...

Daniel Kofahl hat gesagt…

"Erkenntnis über einen Körper zu formulieren, bliebe für mich immer einer strukturellen Kopplung zugeschrieben. Ich verstehe die Trennung zwischen biologischen und sozialen Systemen dort als Erkenntnishindernis. und kann so mit 'Körper' nur wenig anfangen."

Wie radikal ist das jetzt gemeint? So radikal zu sagen/fragen "Körper? Was soll das sein?"

Ich bin sehr unsicher (in der Handhabung) der Interpentrationsbegriffs. Aber der Körper taucht doch auch als Körper in der Kommunikation auf: Luhmann bringt etwa in Soz.Sys. das Beispiel mit dem Tanz:

"Das [...] macht es [...] plaubsibel, daß auch der Körper in sozialen Zusammenhängen spezifischer, sozusagen >körpermäßiger< eingesetzt werden kann. Eine dieser Möglichkeiten ist, über Körperlichkeit eine Feinabstimmung und ein Tempo der Verhaltenskoordination zu erreichen, das über bewußte Kontrollen nicht möglich wäre." (336)

Was freilich die Intransparenz des Körpers für die Gesellschaft nicht aufhebt:

"Was der menschliche Körper für sich selbst ist, wissen wir nicht." (332)

"Das finde ich in der Tat spannend, ob der Körper in des Systemtheorie doch nur als Umwelt taugt oder als Taktgeber und Verortungspunkt von Imperativen bestimmter Subsysteme wie der Medizin.

Es gibt ja neben dem Aufsatz zur Medizin, auch noch den zur Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen (in Aufklärung 6), wo auch nochmal herausgearbeitet ist, wie eng die gegenseitige Irritation von Körper, psychischer Wahrnehmung und Kommunikation ist - und trotzdem gleichzeit scharf gezogenen Grenzen unterliegt.

Der Körper müsste doch in der Umwelt der Gesellschaft liegen, aber es ist doch ein Referenzkomplex (wenn schon nicht "System") auf das sich - zumindest in der Gegenwart - nicht verzichten lässt, was vor allem immer dann deutlich wird, wenn er, wegen Krankheit, Hunger, Hormonschwankungen etc. die Fortsetzung der Kommunikation gefährdet.


...hier gibts jetzt Essen (Pizza!)... in Anlehung an Brecht könnte man sagen: "Erst das Fressen, dann die Theorie" ;)

Sven hat gesagt…

ja - klar. Der Körper taucht in der Kommunikation auf. Aber damit ist das biologische System noch lange nicht kausal vernetzt.

Es kann sein, dass ich das mit dem Körper vielleicht ein wenig zu scharf lese. Aber haben wir mittlerweile eine Definition?!

und wäre der Körper dann tatsächlich "in" der Gesellschaft? - und damit nur Kommunikation? oder ein eigenes System? .... jeder einzelne Körper??

Sven hat gesagt…

Es brennt in mir also die Frage der Matrix auf der Zunge: Wo ist die Pizza? (oder das saftige Steak?*)


*Matrix1

Daniel Kofahl hat gesagt…

Wir haben das Problem, dass der Körper in der Umwelt der Kommunikation ist. Genauso wie das Bewusstsein, biochemische Ökokomplexe etc. Insofern kommt er immer nur als fremdreferentielles Thema innerhalb der Gesellschaft vor. Auch heißt das, dass wir er für die Kommunikation immer nur als Widerstand erfahrbar ist. Aber so ist das mit allem, was außerhalb des Gesellschaft ist - auch das Bewusstsein - es er ist immer ein Konstrukt. Aber, um es mit Baecke zu sagen, "Unsere Beine sind auch ein Konstrukt, aber wir können trotzdem auf ihnen laufen."


Um sich dem (nicht "was ein Körper ist") sondern, "wie ein Körper funktioniert" aber über eine Definition (die wie jede Definition immer nur unzrueichend sein kann) zu nähern, könnte man sich z.B. die Beschreibung über "Körperverhalten" in Soz.Sys. ab Seite 331ff. anschauen. U.a. heißt es auf dann:

"Als Umwelt ist der Körper der Gesellschaft vorgegeben (was nicht ausschließt, vielmehr einschließt, daß die soziokulturelle Evolution auch die organische Evolution mitbeeinflusst). Als hochkomplexes und dadurch konditionierbares Agglomerat von Systemen hat der Körper dagegen einen Sinn, der Komplexität in sozialen Systemen als verfügbar erscheinen lässt: Man sieht dann, berücksichtigt dann, erwartet dann ganz unmittelbar, daß er sich so oder auch anders verhalten kann. Aber diese Einheit der Komplexität und diese Unmittelbarkeit der Orientierung sind nicht der Körper selbst; sie werden zur Einheit und Unmittelbarkeit erst im Schema der Differenz, die sich der Interpenetration ergibt." (341)

Baecker - um Zeppelin im Spiel zu halten - bezeichnet den Körper als eine A d r e s s e, "die einschlägig dafür bekannt ist, dass sich an ihr alle Sensibilität der Kommunikation geschult hat." (F&F d. Kom.: 243).

....

Ich würde auch gern weiter dazu diskutieren!

....

Pizza... ja, ein echtes Manko der gegenwärtigen Matrix, dass eine virtuelle Pizza einfach nicht so schmeckt wie eine biochemische :( ;)

Sven hat gesagt…

hmm.. ja, aber wir wissen doch nur von unserem Körper, weil es als Tatsache kommuniziert wird. Der Körper hat als "Umwelt der Gesellschaft" keine Information.

Sven hat gesagt…

Die Definition "Adresse der Irritation für Gesellschaft" finde ich zu dünn. 1. ist vieles(alles?) mit dem Begriff Person, welcher ja auch körperliche Attribute zugerechnet werden können,gesagt. und 2. denke ich nicht, dass eine Irritation, die man als Kommunikation der Umwelt zurechnet, eine 'Punkt-für-Punkt-Entsprechung' in ein anderes System (welches vielleicht nicht einmal im Medium Sinn operiert!) plausibel macht.

Vielleicht müsste man, wenn man von einer Interpenetration des Körpers spricht, dies entlang des Systems 'Psyche' entwickeln. Und man müsste den Körper (wenn man ihn extern der Gesellschaft denkt) als System kennzeichnen, dem eine "Faszination" für 'Bewusstsein', und/oder 'Gesellschaft' und/oder 'Computer', oder vielleicht sogar 'Technik'..., nicht fremd sein darf. Sonst wäre er lediglich ein "Ding" im Reigen der Was-Fragen des Sozialen Systems 'Gesellschaft'....

Als Definition kann ich Luhmanns Einheit aus dem psychischen System und seiner Umwelt anbieten. - aber ich sehe nicht, wie man dies für den "üblichen Gebrauch" als Form neben der Person fit machen sollte.

Oder ist das gar nicht gewollt?!

Daniel Kofahl hat gesagt…

"wir wissen doch nur von unserem Körper, weil es als Tatsache kommuniziert wird. Der Körper hat als "Umwelt der Gesellschaft" keine Information."

Ja, das würde ich auch sehen. Aber sobald die Kommunikation bemerkt, dass es irgendwo kommunikativ nicht mehr weitergeht, sucht sie doch nach Erklärungen ("Der spricht kein deutsch"; "Es ist zu laut"; "Ach so, das Kind, dass wir bisher für reichlich dumm gehalten haben, ist farbenblind! Ups!" {Hab ich tatsächlich mal miterleben dürfen...haarige Story...}) und dabei ist eben >der Körper< eine von vielen innersystisch konstruierten, aber fremdreferentiell verorteten Adressen der Kommunikation. Da ist er "einem Baum" oder "bio-chemischen Ökokomplexen" gegenüber doch nicht zu unterschiedlich. Oder lieg ich da falsch?

Die Idee ihn entlang der Psyche zur entwickeln finde ich spannend, versteh ich aber noch nicht so ganz. Was bedeutet das mit "Faszination"?

Für mich, mit einer ernährungssoziologischen Perspektive, kommt noch folgendes hinzu (was aber auch für andere interessant sein dürfte):

"Soziologisch fällt auf, dass der Körper umso mehr nicht nur zur Adresse von Kommunikation, sondern auch zu ihrem Präperat wird, je anspruchsvoller die Kommunikation ist, die eine Gesellschaft zu ordnen hat." (F&F.d.K: 244) und kurz darauf: "Körper sind das Design der Gesellschaft" - u.a. da liest die Gesellschaft an Haltung, Gestik, Mimik, Krankheitsanfälligkeit, Leistungsfähigkeit ab, ob sie ihre Kommunikation anders auszurichten hat, weil ihr Gegenüber, das Individuum, nicht mehr mitkommt oder ob zusätzliche Kommunikationen etabliert werden müssen, z.B. Therapien oder eine andere Form der Ernährungskultur.

Um den Bogen zu Luhmann zu schlagen und einen Anreiz zu geben, wo wir noch suchen können:

"Die von N.L. beschriebenen symbotischen Symbole der Rückbindung von Kommunikation an unbewusste Körperlichkeit haben hier [Körper und Bewusstsein; Anm. D.] ihren Ort." (F.&F.d.K. 245)

Sven hat gesagt…

Das mit der Faszination habe ich von Christine Weinbach, die mir mit diesem Begriff die Kopplung von Bewusstsein und Gesellschaft beschrieb.

In meinem Zettelkasten steht als mdl. Weinbach-Zitat "Bewusstsein wird von den Möglichkeiten der Kommunikation fasziniert, während Kommunikation von den Möglichkeiten des Bewusstseins fasziniert wird."

Ich finde das immer noch sehr schön, da ich mit dem Begriff der Strukturellen Kopplung immer diese Punkt-Für-Punkt Verbindungen in eine wieauchimmer geartete Umwelt mitdenke. So vermeide ich (vielleicht) die ein oder andere kniffelige Frage nach der Gleichzeitigkeit dieser Kopplung.

Sven hat gesagt…

Das mit dem Bewusstsein ist ja der "Ursprung" des Selbstreferenz-Paradigmas. Die'endogene Unruhe' des Sinns wurde vom 'Funktion und Folgen'-Luhmann noch organisch(!)begründet.

Aber ist der Körper, der ja nicht das Leben ist... (...welches vielleicht organisch vibrieren könnte), wirklich als Sinn-System zu denken?

Was ist eigentlich mit der Lösung der Person und ihren Zurechnungen? Könnte der Körper nicht einfach eine Individualisierungsleistung dieser 'Kommunikationen zum Selbst' sein? (und vielleicht auch seine Ernährung?)

Daniel Kofahl hat gesagt…

"ist der Körper [...] wirklich als Sinn-System zu denken?"

Überhaupt nicht! Hab ich irgendwo den Eindruck gemacht, ich wollte das? Wäre ein Missverständnis...

"Könnte der Körper nicht einfach eine Individualisierungsleistung dieser 'Kommunikationen zum Selbst' sein? (und vielleicht auch seine Ernährung?)"

Jetzt wäre ein Foucault-Experte glaub ich ganz gut... ;)

Lars hat gesagt…

Wo gerufen wird, da wird gehört... ;-)

Schaut man sich in der Körpetsoziologie um, dann gibt es einen nicht unerheblichen Anteil an systemtheoretischer Arbeiten dazu. Was zunächst einmal darauf hinweist, dass sie mit dem Körper ein Problem hat, dass wohl strukturell ähnlich gebaut sein dürfte wie das Exklusionsproblem: Dass nämlich in der Soziologie etwas als soziales/gesellschaftliches thematisiert wird, was die Systemtheorie dem eigenen Theoriedesign nach als Umwelt sozialer Systeme konzipiert. Dass der Körper nämlich zunächst nichts anderes sein soll als ein biochemischer oder -physischer Organismus, ist keineswegs selbstverständlich und eine eigenartige Annahme für eine Soziologie. Daran erinnert ständig die Phänomenologie, insbesondere Merleau-Ponty.

Aber gut, zu Foucault: Man kann Foucault einerseits "praxistheoretisch" lesen, dann orientiert man sich am Einführungskapitel von Überwachen und Strafen, wo der Satz mit der Seele als Gefängnis des Körpers auftaucht. Allerdings ist auch die Psyche bei Foucault letztlich ein Effekt derselben Praktiken der Macht, die auch den Körper hervorbringt: die Disziplin.
Und auch in Sexualität und Wahriet gibt es vor allem techniken und Praktiken, die sich auf dne Körper richten (Diät, sexuelle Praktiken etc.) und somit das Selbst erzeuen. Allerdings gibt es dort zumindest auch die Vorstellung von einem Körperwissen, dass kommuniziert werden kann: In Briefen , Tagebüchern usw. Diese Körperwissen ist dann mobilisierbar für eine Kommunikation des Selbst bezogen auf den Körper. Da ist Foucault dann anschlußfähig für kommunikationstheoretische Überlegungen. Nichts desto trotz: Macht ist bei Foucault nicht bloß Selbstaffizierung (also selbstreferentielle Kommunikation bei Luhmann), sondern kann auch eine Affizierung durch anderes sein und ist es insbesondere in Überwachen und Strafen, das mehr ist als Interpenetration.

Sven hat gesagt…

Cool! Danke! ... das was bei Foucault klar mehr ist als Interpenetration, wäre auch bei Luhmann sicher mehr. Denn es spielt bei ihm neben der Macht auch die Gesellschaft mit ihren arbeitsteiligen Subsystemen eine Rolle.

@Lars: Ist "Körperwissen" dabei so eine Art archetypisches Bild aus Macht oder ist das etwas rein körperliches?

Lars hat gesagt…

@Sven: Foucault selbst nutzt den Begriff des "Körperwissens" gar nicht, sondern ich habe mir hier ein Konzept der Wissenssoziologen geborgt. Bei Hahns "Körper und Gedäcghtnis" könnte man da fündig werden, oder in dem Sammelband von Schroer "Soziologie des Körpers".

Was ich meinte war: Schaut man sich das Material an, dem sich Foucault in seinem späten Werk zuwendet, dann sind das nicht mehr Veränderungen der Strafpraxis, Kontrollarchitekturen oder Disziplinierungen des Körpers, sondern Tagebücher, Briefe, ethische Schriften, zumindestens soweit es die Thematisierung des individuellen Körpers geht (bei den Überlegungen bzgl. der Gouvernementalität mischt sich dann die Ratgebertexte wieder mit spezifischen architektonischen Materialien und Techniken zur Datengewinnung über die Bevölkerung). D.h. es geht um Korpora von Aussagen, die den Körper betreffen und Anwesiungen geben, wie für ihn Sorge zu tragen sei resp. was sich am Sex über den Einzelnen aussagen läßt, ob er ein Perverser ist oder bloß eine Regression in die anale Phase zu konstatieren sei. Der Clou an der Psychoanalysekritik Foucaults war ja, dass die Psychoanalyse ein spezifisches Wissen ist, mit dem wir unseren Körper überziehen, um damit das Individuum in seiner ganzen Persönlichkeit zu erfassen - resp. dass dann die einzelnen Individuen dieses Wissen benutzen, um an ihrem Körper die eigen Freiheit abzulesen. Damit wird der ZUstand des eigenen Erlebens des Körpers dann kommunizierbar, so sehr, dass dann der Schizo nicht mehr weiß, wo er aufhören soll mit der Kommunikation.

Daniel Kofahl hat gesagt…

Auf Lars Beiträge ist Verlaß...da verläßt man sich nachher auf gar nix mehr ;D Insofern möchte ich mich Svens "Cool! Danke!" anschließen...

"Dass der Körper nämlich zunächst nichts anderes sein soll als ein biochemischer oder -physischer Organismus, ist keineswegs selbstverständlich und eine eigenartige Annahme für eine Soziologie."

Es ist nur halb so eigenartig, wenn man sieht, dass alles andere aus dem Körper exkludiert worden ist (das Soziale, das Bewusstsein, Gott...) - nicht um es auszublenden, sondern um Wechselwirkungen besser beschreiben zu können... Die andere Seite der Eigenartigkeit könnte man vielleicht damit bestimmen, indem man sagt, der Körper ist ein primärer Widerstand von Kommunikation und Bewusstsein in ihrer Umwelt - womit wir auch bei Merleau-Ponty wären, der uns "den Leib" ja auch als etwas präsentiert, was in der Kommunikation dazu dient, die "nervöse Substanz" zu lokalisieren versucht, was aber auch nie abschließend gelingt...

Ich finde man kann die diskurstheoretischen Beobachtungen ja sehr gut zur systemtheoretischen Analyse verwenden, weil sie auch den Körper als Adresse von Kommunikationen beschreiben - die soziol. Systemtheorie kennt nur eben noch eine Reihe mehr Adressen...

"sondern kann auch eine Affizierung durch anderes sein und ist es insbesondere in Überwachen und Strafen, das mehr ist als Interpenetration."

versteh ich noch nicht - was soll dieses "mehr" sein? ist das "quanitativ" oder "qualitativ" "mehr"?

Die "Techniken" und "Praktiken" könnte man mitunter als "Schnittstellendesign" beschreiben, dass Widerstände in Informationen für die Kommunikation übersetzen soll...

Follower

Beobachtungen n'ter Ordnung