Insel für einen virtuellen Luhmann-Lesekreis

Sonntag, 28. März 2010

S.52f ... seltsam die Zeit ist. (besonders in FN 64)

Moinsen!

Habe mich gerade mit dem Kap. III beschäftigt und bin bei der FN64 hängengeblieben, die wie folgt lautet: "Wir merken hier vorgreifend schon an, daß diese Zeitform der Vermittlung von Redundanz und Varietät in der Neuzeit größere Bedeutung gewinnt, weil die naturale Absicherung von Redundanzen über Notwendigkeiten und Unmöglichkeiten mehr und mehr aufgegeben werden muß und zugleich die unkoordinierte Irritierbarkeit gesellschaftlicher Kommunikation, also Varietät zunimmt." (S.53,FN 64)

Meine Frage ist nun, was ist hier mit "naturalen Absicherungen" gemeint sein könnte? Ist da etwa nur der Hinweis auf Tag und Nacht gemeint, oder steckt da mehr dahinter?

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sind in diesem Lesekreis überhaupt Kommentare von Nichtmitgliedern erwünscht? Ich erlaube mir einfach mal, meinen Senf dazuzugeben:

In der zitierten Fußnote sind bestimmt auch Tag und Nacht gemeint. Frühere Gesellschaften hatten ja aufgrund ihrer geringeren wirtschaftlichen und technischen "Leistungsfähigkeit" kaum die Kapazität sich auf Experimente einzulassen. Dementsprechend einförmig waren auch die zeitlichen Abläufe (=Redundanz). Tages- und Jahreszeiten, Klima und geographische Gegebenheiten hatten das was getan werden konnte und mußte, stärker determiniert als heutzutage. Luhmann schreibt ja auch, dass die Differenzierungsmuster von wenig komplexen Systemen oft entlang von Differenzierungen in ihrer Umwelt verlaufen.

Andererseits denkt Luhmann bei "naturaler Absicherung" bestimmt auch an die gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen. Im Mittelalter glaubte man wohl an eine unverrückbare Natur der Dinge, eine gottgegebene Ordnung des Universums und der Gesellschaft. Neues war prinzipiell verdächtig und galt als Abweichung. In der Moderne dagegen, ist Varietät in hohem Maße zugelassen und erwünscht ("Fortschritt", "Paradigmenwechsel", "Innovation", Moden...). Man kann Neues heute nicht mehr einfach ablehnen, nur weil es neu ist und sich vom Althergebrachten unterscheidet.

Die "semantische" und die "natürliche" naturale Absicherung sind natürlich(!) nicht unabhängig voneinander. Luhmann behauptete ja ein zeitliches Hinterherhinken der Semantik.

Österlicher Gruß,
René

Daniel Kofahl hat gesagt…

@Rene: also „erwünscht“ ist meiner Meinung nach ein so schwacher Ausdruck. „Heiß begehrt“ wäre vielleicht treffender ;D Ne, im Ernst. Der „Lesekreis“ sind die die mitkommunizieren, oder?

@Thema: Eine spannende Fußnote, die Du da in den Fokus rückst, Sven, und eine einleuchtende Erklärung dazu, die Du gibt’s, Rene. Ich schließe dann noch mit der Überlegung an, dass man in archaischen Sozialentwürfen mit weniger Kontingenzen zu rechnen hatte, weil die eben erwähnten Notwendigkeiten nahezu determinierend gewesen sind und Varianz mangels Spielraum nicht erzeugbar. In Bezug auf Ernährung mag das z.B. heißen: es musste gegessen werden, was man fand oder was eben wuchs, weil praktisch keine Alternativen bestanden, was man sonst hätte anbauen oder, später dann, produzieren können. Die Zeit der Ereignisse waren praktisch alle Gegenwärtig und – wie Rene schon sagt – einförmig. Dagegen ist dann eben die gegenwärtige Gegenwart immer eine Entscheidungssituation und insofern abhängig davon, an was sich der Entscheider erinnert (und was er vergisst) um seine Entscheidung zu treffen. Er ist also Kulturabhängig.

Spannend ist aber auch der zweite Teil der Antwort, mit den Naturalisierungen in einer nicht mehr von ausschließlich von Notwendigkeiten dominierten Gesellschaft. Ich frage mich allerdings, ob es das heute wirklich nicht mehr gibt – empirisch lässt sich doch eine hohe Anerkennung (bis hin zum religiösen Hype, ich sag nur „Weltformel“) der Naturwissenschaften beobachten, gekoppelt mit einem geradezu spiritualistischen Hype von Natürlichkeit in den nicht so wissenschaftlichen Diskursen (bspw. Bioprodukte etc.). Ist das eine Sehnsucht nach naturaler Absicherung? Nach mehr alltäglicher Redundanz auf Basis quasi-natürlicher Prämissen?

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